Geldadel und Verbraucherplebs

Und doch, eines ist wahr: Im vollen Genuß des Konsumrausches, geblendet von der Zahl der Autos, Waschmaschinen und Fernsehgeräte, dem ganzen »Glitzerkram« der Wohlstandsgesellschaft, hat die Masse der Verbraucher den Blick für die Entwicklung der gesellschaftlichen Wirklichkeit verloren. Wenn sich die Bundesbürger Meinungsforschern anvertrauen, so zeigt sich, daß die Erhaltung des Erreichten weit an der Spitze steht. Gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange starren die Deutschen auf die Stabilität der Mark und haben keine dringlichere Forderung an ihre Regierung als die, den Geldwert zu erhalten. Mit einigem Abstand folgt die Sorge um die Arbeitsplätze. Eher zaghaft wird der Wunsch geäußert, der Staat möge doch die Steuern senken. Erst dann erinnert der Durchschnittsbürger unter »ferner liefen« daran, daß auch die Vermögensbildung der Arbeiter und Angestellten gefördert werden möge. Wenn die Meinungsforscher diese Frage nicht schon auf ihrem Katalog hätten, so würde wohl kaum jemand daran denken, dieses Problem überhaupt zu erwähnen.

Den meisten Bürgern der Bundesrepublik ist gar nicht bewußt, daß sich im westlichen Nachkriegsdeutschland neben der freudig die Gegenwart genießenden Verbraucherplebs ein Geldadel herausgebildet hat, in dessen Händen sich eine ungeheure Vermögenskonzentration vollzogen hat:

  • Während die Masse der Westdeutschen das Wirtschaftswunder freudig bestaunte und sich eine ansehnliche Sammlung dauerhafter Konsumgüter zulegte, häufte eine an der Gesamtzahl der Bevölkerung gemessen verschwindend kleine Zahl von Kapitalbesitzem eine noch ansehnlichere Sammlung von Besitztiteln am Produktivkapital dieses Staates an.
  • Während die große Masse der Arbeitnehmer bescheidene Summen auf ihren Sparkonten ansammelte, die vor allem dazu dienten, die etwas kostpieligeren Statussymbole wie Auto, Fernsehgerät und Waschmaschine anzusparen, teilen einige wenige Reiche die deutsche Wirtschaft unter sich auf.
  • Während Millionen Familien glücklich darüber waren, endlich eine bequeme, moderne Wohnung gefunden zu haben, machten einige Leute, die zufällig ein paar günstig gelegene Grundstücke besaßen oder denen eine Bodenspekulation geglückt war, Millionengeschäfte auf Kosten des Steuerzahlers oder privater Bauherren.
  • Während in der Bundesrepublik mit mehr oder weniger Erfolg darum gerungen wurde, im politischen Bereich endlich ein Gefühl für demokratische Spielregeln zu entwickeln und das parlamentarische System im Bewußtsein der Bevölkerung zu verankern, entstand in der Wirtschaft eine Oligarchie des Reichtums.
  • Während im politischen Bereich die monarchistische Regierungsform längst in Vergessenheit geriet, wird die Wirtschaft weiterhin nach einem System regiert, das Alleinherrscher, Erbprinzen und Lehnsfürsten kennt.
  • Während bescheidene Versuche, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu fördern, von Interessenten als Marsch in den Kollektivismus und Kommunismus diffamiert wurden, machte der Staat den Unternehmern Milliardengeschenke und ermöglichte über eine trickreiche Steuerpolitik den Aufbau riesiger Industrieimperien.

Bei all dem bleiben die alten und neuen Reichen im Land weitgehend unbekannt. Bei Umfragen nach den wohlhabendsten Männern in der Bundesrepublik wurden von der Mehrzahl der Befragten Namen wie Konrad Adenauer, Ludwig Erhard oder Hermann Josef Abs genannt. Männer wie Friedrich Flick, Herbert Quandt oder Helmut Horten sind weitgehend unbekannt, obwohl sie riesige Konzerne beherrschen. Rudolf August Oetker, den Herrn über Versicherungen, Banken, Reedereien, Nahrungsmittelfabriken, Brauereien und einen bunten Kranz anderer Firmen, stellen sich die meisten derjenigen, die seinen Namen überhaupt kennen, als einen Mann mit roten runden Bäckchen vor, der häufig eine Schürze trägt und gern Pudding kocht. Sie können sich gar nicht vorstellen, daß er etwas anderes produziert als Schokoladenpulver, Himbeerpudding und Vanillesoßen.

Michael Jungblut, Die Reichen und die Superreichen in Deutschland, Hamburg 1971, S. 21 f.