Das Schäfchen im trockenen

Im Jahre 1969, als sich in Bonn zum erstenmal eine sozialdemokratisch geführte Regierung um den Kabinettstisch versammelte, als zum Teil von Ausschreitungen begleitete Studentenunruhen die Öffentlichkeit beunruhigten und im Ruhrgebiet seit langer Zeit wieder wilde Streiks ausbrachen - just in diesem Jahr schien es dem Warenhauskönig Helmut Horten an der Zeit, Kasse zu machen. Dabei bewies er noch einen erstaunlich sicheren geschäftlichen Instinkt. Er bot die Aktien seines Konzerns nämlich genau auf dem Scheitelpunkt eines Booms feil. Schon wenige Monate später hätte er die Papiere nicht mehr so günstig abstoßen können. So aber waren die Käufer der hochgelobten Anteile die Dummen. Sie mußten es hinnehmen, daß die mit vielen Hoffnungen erworbenen Aktien schon wenige Wochen später an den Börsen weit unter dem Preis notiert wurden, den sie Horten gezahlt hatten.

»Die rasch wachsende Warenhausgruppe der Horten-, Merkur- und Defaka-Häuser, die in diesem Jahr die Urnsatzgrenze von 2 Milliarden DM überschreiten wird, vollendet jetzt den Übergang vom Ein-Mann-Unternehmen zur Aktiengesellschaft mit Beteiligung breiter Anlegerkreise.« Mit diesen Worten hatten die Deutsche Bank und Helmut Horten im Dezember 1969 der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß die Warenhausgruppe zum Verkauf stehe - um dann gleich klarzumachen, wer Herr im Hause sein werde: »Die Beteiligung eines breiten Aktionärskreises wird die Stetigkeit der Führungsverhältnisse und die geschäftspolitische Linie des auf die Person ihres Gründers ausgerichteten Unternehmens unberührt lassen.« Ein halbes Jahr zuvor war in der Konzernzentrale noch jedes Gerücht, Helmut Horten wolle sich ganz oder teilweise von den Aktien seines Unternehmens trennen, mit größter Entschiedenheit zurückgewiesen worden.

Die Wahrheit war, daß Horten den Verkauf seines Warenhausimperiums von langer Hand vorbereitet hatte. Im Herbst 1968 wurde seine Horten GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren alleiniger Anteilseigner und deren Aufsichtsratsvorsitzender Helmut Horten hieß. Der Aufsichtsratsvorsitzende Horten bewilligte sodann dem Aktionär Horten für dieses Geschäftsjahr eine »Vollausschüttung« in Höhe von 75 Millionen Mark, mit der er sich selber für vierzehn dividendenlose Jahre entschädigte. Seinen Mitarbeitern ließ er anläßlich seines 60. Geburtstages auch etwas zukommen - im Durchschnitt 500 Mark pro Kopf. Insgesamt wurden für diese Geburtstagsspende 15 Millionen Mark aufgewendet. Während der Kaufhaus-Krösus dann weiter versichern ließ, er denke nicht daran, auch nur eine einzige Aktie zu verkaufen, verhandelte er schon mit der Deutschen Bank und der Commerzbank über den Verkauf einer Schachtelbeteiligung, also von 25 Prozent seiner Aktien. Als das Geschäft schließlich zustandekam, erlöste er dafür 230 Mark je Aktie im Nennwert von 50 Mark. Zum gleichen Preis bot er wenige Monate später weitere 50 Prozent des Gesamtkapitals der Horten AG von 250 Millionen dem breiten Publikum an - Kurswert insgesamt 515 Millionen Mark. Dieser Preis war im Vergleich zu dem, den die Banken gezahlt hatten, überhöht. Denn Aktienpakete werden üblicherweise teurer, d. h. mit einem »Paketaufschlag«, gehandelt als einzelne Papiere. Das ist durchaus berechtigt. Wer 25 Prozent vom Kapital einer Aktiengesellschaft erwirbt (man spricht von einer »Schachtelbeteiligung«), erlangt eine besondere Machtstellung und kommt in den Genuß von Steuervorteilen.

Alles in allem konnte Helmut Horten so innerhalb weniger Monate weit über 800 Millionen Mark seinem Privatkonto gutschreiben lassen. Was er mit den Millionen zu tun gedachte, beließ Horten erst einmal im dunkeln. Er ließ nur verbreiten, daß er als Aufsichtsratsvorsitzender und Besitzer des restlichen Kapitalviertels sein Handelsimperium weiter von seinem Refugium im Tessin aus fernsteuern werde. Da die Hälfte des Aktienkapitals sehr breit unter das Publikum gestreut worden war, braucht er nicht zu fürchten, daß ihm irgendeiner ins Geschäft hineinredet. Insofern war die Bemerkung, daß die »Führungsverhältnisse und die geschäftspolitische Linie des auf die Person ihres Gründers ausgerichteten Unternehmens unberührt« bleiben würden, durchaus korrekt. Horten blieb der Alleinherrscher, auf dessen Wink hin der Konzern geführt wird. Nur das Risiko hatte er weitgehend auf andere Schultern geladen. Die einzige Einschränkung seiner Macht war die Beteiligung der beiden Großbanken mit ihrer Sperrminorität - die sie aber nur ausüben können, wenn sie sich einig sind.

Eine Milliarde im zweiten Anlauf

Einschließlich des von ihm noch gehaltenen Kapitalviertels hat es dieser Mann also geschafft, innerhalb von nur zwanzig Jahren ein Vermögen von gut einer Milliarde Mark anzuhäufen. Der Erfolg, den er beim zweiten Anlauf erzielte, war noch spektakulärer als seine ersten geschäftlichen Schachzüge.

Helmut Horten, der das Verkaufen im Warenhaus Leonhard Tietz (heute Kaufhof) gelernt hat, kam 1909 in Bonn als Sohn eines Juristen und späteren Oberlandesgerichtspräsidenten zur Welt. Der begabte junge Mann kam im Handel schnell voran und wurde bald Abteilungsleiter eines Textilkaufhauses. Seinen wachen Blick für die besonderen geschäftlichen Möglichkeiten, die sich aus den herrschenden politischen Zuständen jeweils ergeben, bewies er dann bereits mit 27 Jahren. Im Mai 1936 erwarb er aus dem Besitz einer jüdischen Familie das Duisburger Textilkaufhaus »Alsberg«. Die nötigen Geldmittel für den Gelegenheitskauf hatte ihm der Bankkaufmann Wilhelm Reinhold beschafft, der dafür Teilhaber der Firma Horten u. Co. wurde. Bereits im September des gleichen Jahres griff Horten noch einmal zu und übernahm das Kaufhaus »Hess« in Wattenscheid. Die Jahre bis zum Kriegsausbruch 1939 nutzte der agile Kaufmann, um seine Firma noch um sechs weitere Warenhäuser zu erweitern. Da Hortens Qualitäten auch höheren Orts offenbar nicht übersehen werden konnten, wurde seinem Unternehmen in der Zeit der Zwangswirtschaft während des Krieges die Verteilung der Warenkontingente an die Kauf- und Warenhäuser im gesamten Niederrheinbereich übertragen. Die Engländer sahen in ihm deshalb einen »Wehrwirtschaftsführer« und sperrten Horten 1947/48 für siebzehn Monate in ein Internierungslager. Er erzwang schließlich durch einen Hungerstreik seine Freilassung - gerade noch rechtzeitig für den Start ins Wirtschaftswunder.

Am Tag nach der Währungsreform. hatte Horten wie jeder andere Westdeutsche nur seine 40 Mark Kopfquote in der Tasche. Außerdem nannte er allerdings noch ein Trümmergrundstück und zwei kleine Kaufhäuser sein eigen. Vereint mit seiner außergewöhnlichen unternehmerischen Begabung und seinem geschäftlichen Spürsinn reichte diese Vorgabe für ihn aus, um den nach Karstadt, Kaufhof und Hertie viertgrößten deutschen Warenhauskonzern aufzubauen. Noch im Jahr der Währungsreform hatte er den ersten Kaufhausneubau nach dem Krieg in der Rekordzeit von nur hundert Tagen aus dem Trümmerboden der Stadt Duisburg gestampft. Als er sich 1969 von drei Vierteln des Kapitals seines Unternehmens trennte, wurden in 51 der modernsten Warenhäuser in allen Teilen der Bundesrepublik unter dem Signum Horten, Merkur und Defaka für rund 2 Milliarden Mark Waren in seinem Namen verkauft.

Gewiß, Helmut Horten hat sich als ungewöhnlich tüchtiger Unternehmer erwiesen und hat es in hervorragender Weise verstanden, mit seinem Pfund zu wuchern. Nicht jeder, der unter den gleichen Bedingungen wie Horten begonnen hat, konnte nach nur zwei Jahrzehnten ein ähnlich stolzes Ergebnis vorweisen. Dennoch wird man die runde Milliarde Mark, die dieser Warenhausvirtuose in der gleichen Zeit als persönliches Vermögen aufbaute, schwerlich allein seiner individuellen Tüchtigkeit zuschreiben dürfen. Als Manager wären ihm für die gleiche Leistung pro Jahr vielleicht 1 bis 2 Millionen Mark vergütet worden. In zwanzig Jahren hätte er also zwischen 20 und 40 Millionen Mark erhalten, mithin nur ein Fünfzigstel bis ein Fünfundzwanzigstel der Summe, die er schließlich sein eigen nennen konnte. Viele bedeutende Wirtschaftsführer, die nach dem Krieg ähnliche Leistungen vollbrachten wie Horten, mußten sich mit einer solchen Entlohnung »bescheiden«. Ohne Mitarbeiter und ohne die Hilfe des Staates wäre eine derart massive Zusammenballung von Vermögen in der Hand eines einzelnen innerhalb so kurzer Zeit nie möglich gewesen.

Es wäre gewiß reizvoll, anhand der Geschäftsbücher der Horten AG zu ermitteln, wie viele Millionen des Eigenkapitals und sonstiger Eigenmittel der Warenhausgruppe den großzügigen Abschreibungsmöglichkeiten zu verdanken sind, die der Staat nach der Währungsreform seinen fleißigen Unternehmern gewährte (vgl. Kapitel II). Ein weiteres großzügiges Geschenk nahmen Männer wie Horten und Springer (der seinen Pressekonzern Anfang 1970 in eine Aktiengesellschaft umwandelte) in Gestalt des ihnen von der Großen Koalition bescherten Umwandlungssteuergesetzes entgegen. Es erlaubte ihnen, ihre Unternehmen ohne allzu harte steuerliche Folgen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Vor Erlaß dieses Gesetzes mußten sie nämlich bei der Umwandlung ihre stillen Reserven (also dem Finanzamt bis dahin vorenthaltene Gewinne) auflösen und nachversteuern. Davor scheuten die meisten natürlich zurück.

Michael Jungblut, Die Reichen und die Superreichen in Deutschland, Hamburg 1971, S. 67 ff.