Die im stillen verdienen

Da war das Fundament einiger anderer Größen der westdeutschen Wirtschaft in der Stunde Null schon etwas breiter als bei Werner Otto. Bei den Werhahns beispielsweise hatten schon die Väter und Großväter die Basis für den Aufstieg an die goldene Spitze zementiert. Die Mitglieder dieses Familienclans brauchten nach dem Krieg eigentlich nur ihre alten Stammplätze an der Spitze der Vermögenspyramide wieder einzunehmen - was sie mit der ihnen eigenen Diskretion auch taten. Die erzkatholische Familie aus Neuß am Rhein, die mit Adenauer verbunden (des ersten Kanzlers jüngste Tochter Libeth heiratete Hermann Josef Werhahn) und mit dem ehemaligen Kölner Kardinal Frings befreundet war, blieb trotz ihrer weitverzweigten Engagements in Industrie und Handel der öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Die Werhahns haben es stets vorgezogen, im stillen Geld zu verdienen. »Schweigsamer noch als die Quandts, die lieber etwas Falsches lesen, als etwas Wahres sagen, sind die Werhahns in Neuß«, schrieb einmal das Wirtschaftsmagazin Capital. Erst durch die Verbindung zum langjährigen Kanzler der Bundesrepublik und vor allem dadurch, daß Libeth Werhahn bei offiziellen Anlässen in Bonn und bei Auslandsreisen häufig bei ihrem Vater die Rolle der First Lady übernahm, geriet der Name Werhahn etwas häufiger in die Spalten der Zeitungen.

Der Grundstein des heutigen Familienkonzerns wurde bereits im vergangenen Jahrhundert mit einem Handelsgeschäft für Holz und Düngemittel gelegt. Später kamen die Getreide- und Ölmüllerei sowie Interessen im Braunkohlenbergbau hinzu. Der eigentliche Aufstieg in den Kreis der großen Familien begann für die Werhahns, als der 1880 geborene Peter Wilhelm Werhahn die Leitung der Geschäfte in die Hand nahm. Er verstärkte die Stellung der Gruppe im Kohlenbereich und erweiterte den buntgemischten Strauß geschäftlicher Interessen um den Lebensmitteleinzelhandel, die Seifenfabrikation und Beteiligungen in der Elektrizitätswirtschaft. Später kamen Brauereien, Baugesellschaften und das Versicherungsgeschäft hinzu. Auch im Bankgeschäft war Peter Wilhelm aktiv. Einige der Unternehmen, in denen das Geld der Werhahns arbeitete, waren in Mitteldeutschland heimisch und gingen nach dem Zweiten Weltkrieg verloren. Doch der Sippe verblieb im kapitalistischen Westen noch genug, um auf den Grundmauern nach bewährtem Muster einen neuen Gemischtwarenkonzern aufzubauen.

Heute reicht der Fächer der Werhahn-Interessen von Baugesellschaften und Baustoffproduzenten wie der Kölner Strabag, der Basalt-Actiengesellschaft in Linz, dem Kalksteinwerk Rheinland und den Rheinischen Baustoffwerken über die Rheinland-Versicherung und die Heinrich Industrie- und Handelsgesellschaft bis hin zu der Berliner Lebensmittelkette Bolle. Dieses Filialunternehmen besitzt nicht nur in der alten Reichshauptstadt in allen Bezirken moderne Supermärkte, sondern betreibt u. a. auch im Hamburger Raum Dutzende von Großraumläden.

Unter dem Konzerndach der Neußer Sippe arbeiten auch die Lebensmittel-Filialketten Schade und Füllgrabe in Frankfurt und Georg Schätzlein in Mülheim. Zu den Perlen in der Kette der Werhahn-Engagements gehört die Wicküler-Küpper Brauerei AG in Wuppertal, die zu den erfolgreichsten und expansivsten Bierquellen der Bundesrepublik zählt. Diese Sudstätte stieg unter der Leitung ihres dynamischen Managers Henry Reichholt in knapp zehn Jahren von einer nur mäßig florierenden Regionalbrauerei auf Platz drei unter den deutschen Hektolitermillionären. Mit Sprüchen wie »Männer wie wir, Wicküler Bier«, ermuntern drei lachende Musketiere in Anzeigen und auf Plakatwänden rings um Wuppertal brave Familienväter, durch hohen Bierkonsum tapfer in das harte Ringen der Brauereien um Marktanteile zugunsten Wickülers einzugreifen. Daß sie sich damit gleichzeitig auch um die Neußer Sippe verdient machten, war den meisten Männern, die sich von den schäumenden Maßkrügen der Musketiere zum Wicküler-Trunk animieren ließen, wohl kaum bewußt.

Den Werhahns ist es gelungen, ihrem buntgemischten Konzern und einer weitverzweigten Familie eine einheitliche Führungsspitze zu geben und damit ihre Kapitalkraft weiter gebündelt einzusetzen. Ihre Zentralfirma in Neuß zählt zwar über sechzig zur Familie gehörende Gesellschafter, doch nur einige von ihnen sind vertretungsberechtigt. Dadurch wurde es möglich, auch nach dem Tode von Peter Wilhelm Werhahn, dem »ungekrönten König von Neuß«, im Jahre 1964 die Gruppe zusammenzuhalten und weiter im stillen zu wirken. Denn was die Sippe wirklich alles besitzt, weiß kaum jemand. Heribert Werhahn, der im Bankbaus Wilh. Werhahn in Neuß residierende Chef der Gruppe, läßt auf alle Anfragen mitteilen, »interne Zahlen werden nicht bekanntgegeben«. Alle bisherigen Schätzungen von Außenseitern seien im übrigen falsch, denn »bei uns sieht doch keiner durch«.

Michael Jungblut, Die Reichen und die Superreichen in Deutschland, Hamburg 1971, S. 75 ff.