Lohnnebenkosten

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»Der Sozialstaat ist viel zu teuer geworden«, das jedenfalls behaupten viele Festredner. Wer so spricht, verwendet einen Trick, der bei Verlautbarungen der Kalten Krieger und Militaristen angewandt wurde und sich auch jetzt großer Beliebtheit erfreut. So heißt es zum Beispiel nie: »Wir töten oder ermorden Menschen«, sondern: »Wir greifen den Irak an.« Der Mensch muss aus der Sprache verschwinden, um die Ungeheuerlichkeit des Tuns zu verschleiern.

So auch im Fall der Lohnnebenkosten. »Rentner, Kranke und Arbeitslose sind uns viel zu teuer geworden« — eine solche Aussage wäre herzlos und würde den einen oder anderen zum Nachdenken bringen. Schließlich sind einem die Nächsten, die Verwandten und Freunde lieb und teuer. Und unter ihnen gibt es mit Sicherheit auch Rentner, Kranke und Arbeitslose. Eine andere Sprachgestaltung würde den persönlichen Bezug zu den betroffenen Menschen herstellen. Wenn einem ein Mensch teuer ist, dann hat das nämlich nichts mit Preisen, Kosten und Gewinnen zu tun, sondern drückt ein menschliches Gefühl der Zuwendung aus. Und genau diese Begriffe des Mitgefühls, darunter fallen Worte wie »Mitleid«, »Nächstenliebe« oder »Sympathie«, tauchen im modernen Sozialstaatsdialog unserer Reformer nicht mehr auf.

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Oskar Lafontaine, Politik für Alle, Berlin 2005, S. 62 f.