Trichtertechnik
Kreuzen ohne Kompass

Die Trichtertechnik

(2008)

von
Harald Wozniewski 2007

Harald Wozniewski

Nun haben Sie unter Taktik Kompasssegeln und unter Das Programm erfahren, wie wichtig der Kompass und natürlich der richtige Gebrauch des Kompasses für das schnelle Kreuzen gegen den (und mit dem) Wind ist. Das HWR-System, also die von mir entwickelte Kompasstechnik, ist mit Abstand die effektivste Technik, Winddrehungen so zu nutzen, dass man den kürzesten Weg zu Luvtonne findet und segelt.

Was soll man aber tun, wenn man keinen Kompass zur Verfügung hat oder wenn man beim besten Willen keinen HWR-Wert prognostizieren kann?

Dann gibt es die zweitbeste Kreuztechnik, die - im Zuge der Programmierung von Kompass für Regattasegler ebenfalls von mir entwickelte - “Trichtertechnik”.

Das Grundprinzip

Diese Technik ist sehr einfach anzuwenden. Man ermittelt auf der Kreuz ständig, auf welchem Bug der Winkel zwischen dem jeweiligen Kurs und der Peilung zu Luvtonne kleiner ist:

Skizze 01In Skizze 01 haben wir je nach Position (A, B und C) verschiedene Peilungen zur Luvtonne.

Wir nehmen an, dass unser Boot (hier ein 420er) mit einer Höhe von 45° zum Wind segelt.

Um die Peilung zu erleichtern, haben wir uns ein Kreuz (rote Linien 45° zur Mittschiffslinie) auf unser Boot gemalt oder geklebt.

In Position A ist der Winkel zwischen unserem Kurs und der Peilung zur Luvtonne kleiner als 45°. Bei B ist er genau 45° und in Position C ist er größer als 45°.

Sikzze 02Würden wir auf dem anderen Bug segeln (Skizze 02), wäre es umgekehrt:

In Position C ist der Winkel zwischen unserem Kurs und der Peilung zur Luvtonne kleiner als 45°. Bei B ist er genau 45° und in Position A ist er größer als 45°.

Die einfache Grundregel der Trichtertechnik lautet: Wir segeln immer auf dem Bug, auf dem der Winkel zwischen Kurs und Peilung zur Luvtonne kleiner ist.

In Position A segeln wir also besser auf Steuerbordbug; in Skizze 02 würden wir also wenden. In Position B ist es gleich, ob wir auf Steuerbordbug oder auf Backbordbug segeln. Und in Postion C ist es besser auf Backbordbug zu segeln; entsprechend würden wir in Skizze 01 wenden.

In der Praxis ergibt sich daraus folgendes: Wir wenden immer dann, wenn der Wind weit genug schralt oder wenn das Boot so weit auf einem Bug gefahren ist, dass der Winkel für den anderen Bug kleiner als der des gegenwärtigen geworden ist. Aber mal langsam zum Mitschreiben.Skizze 03

Ohne Winddreher

Angenommen, der Wind dreht (schralt und raumt) nicht. Dann ergibt es sich ja allein durch unser Vorwärtssegeln, dass der uns interessierende Winkel immer größer wird.

Hier rechts in Skizze 03 ist der Winkel ursprünglich (in Position A) für uns positiv, und er wird immer größer, je weiter wir vorankommen. Ab Position B wird er für uns negativ. Und nach unserer Grundregel würden wir nach Position B wenden.

Ebenso verhält es sich natürlich auf dem anderen Bug (Skizze 04 unten).

Skizze 04Würden wir unsere Grundregel nun sehr streng nehmen, dann führte das - wohlgemerkt bei konstanter Windrichtung - dazu, dass wir permanent wendeten, wenn wir uns in Position B, also  exakt in Lee der Luvtonne (Leepeilung) befinden.

 

 

 

 

 

 

 

Skizze 05Um dieses ständige Wenden zu verhindern, können wir über die Leepeilung ein paar Grad - etwa fünf bis fünfzehn Grad - hinausfahren. In Skizze 05 sind die Grenzen zur Verdeutlichung mit 20° rechts und links der Leepeilung gezeichnet.

Lassen Sie sich nicht durch die Leetonne irritieren! Wo die liegt, ist völlig egal. “Leepeilung” ist die Peilung von der Luvtonne aus nach Lee.

Die so verlaufenden Grenzen beschreiben einen Trichter, der von Lee aus auf die Luvtonne zeigt (Skizze 06 unten). Daher der Name Trichtertechnik.
Skizze 06
Skizze 07

Die abgewandelte Regel der Trichtertechnik lautet also, dass wir ein paar Grad über die Leepeilung hinausfahren, bevor wir wenden.

Innerhalb dieses Trichters (neutraler Bereich) fährt man so lange, bis man dessen linke bzw. rechte Seite erreicht hat, und wendet dann.

Befindet man sich außerhalb des Trichters, dann wählt man den Bug, der uns in den Trichter (oder einfacher: nach Lee der Luvtonne) führt.

Je weiter wir uns der Luvtonne nähern, desto enger wird freilich der neutrale Bereich.

Nun werden Sie fragen, was das alles mit dem Ausnutzen von Winddrehungen zu tun hat.

Mit Winddrehungen

Skizze 08Unser Trichter hat nun die seltsame Eigenschaft, dass er sich immer mit dem Wind dreht, praktisch so wie ein Verklicker auf der Luvtonne.

Dreht der Wind nach rechts, dreht auch der Trichter nach rechts (Skizze 08).

Dreht der Wind sich links herum, dreht sich auch der Trichter links herum (Skizzen 09 und 10).

 

Skizze 09

Skizze 10Woran das liegt? Ganz einfach!

Wenn wir gute Regattasegler sind - und wir SIND gute Regattasegler -, dann steuern wir unser Boot ja immer mit der optimalen Höhe zum Wind. In unserem Beispiel oben mit dem 420er haben wir 45° zum Wind angenommen.

Dreht sich der Wind, drehen wir natürlich auch unser Boot (unten Skizze 11). Und damit dreht sich auch unsere oben gelernte Orientierung zur Luvtonne. Und somit dreht sich auch unser Trichter.

Skizze 11
Dies hat für uns den angenehmen Nebeneffekt, dass wir uns um Winddrehungen (fast) keine Gedanken mehr zu machen brauchen, ganz anders als beim HWR-System mit Kompass! Man braucht noch nicht einmal mehr zu unterscheiden zwischen Winddrehungen und Windablenkungen, was es einem noch mal leichter macht.

Auch löst sich ein im HWR-System nur schwer zu bewältigendes Problem bei der Trichtertechnik ganz von selbst: Weil die Perioden des Hin- und Herpendelns des Windes oft zehn bis zwanzig Minuten brauchen, passiert es auf kleinen Segelrevieren mit entsprechend kleinen Kursen häufig, dass während einer einzigen Kreuz nur ein Bruchteil einer Winddrehperiode erlebt wird. Man segelt die Kreuz vollständig durch, und in dieser Zeit schlägt der Wind nur nach links aus. Den anschließenden Ausschlag nach rechts erlebt man - ohne Nutzen - dann erst auf dem Raum- oder Vor-Wind-Kurs. Jedenfalls wird man in der folgenden Kreuz wieder nur einen Bruchteil einer Winddrehperiode erleben, aber wahrscheinlich einen ganz anderen als in der vorherigen Kreuz. Das macht die HWR-Prognose - wie gesagt auf kleinen Revieren - sehr sehr schwer. Die Trichtertechnik kennt dieses Problem gar nicht und führt dennoch zu ganz brauchbaren Ergebnissen. Denn man fährt einfach den Bug, auf dem man sich der Luvtonne am direktesten nähert. Und da braucht man keine (richtige) Prognose über künftigen Winddreher oder gar über die Bruchteile einer Winddrehperiode.

Der Nachteil: Wir erreichen nicht wirklich den kürzesten Weg zur Luvtonne, so wie beim HWR-System. Die meisten Regattasegler kennen das Problem in einer Extremform aus übler Erfahrung: Man befindet sich kurz vor der Luvtonne weit links (um gleich nach einer Wende anliegen zu können) und dann der Wind dreht, und zwar nach rechts! Dann fährt man einen weiten Bogen (die berüchtigte Banane!) um die Boje herum. Im Kleinen passiert das bei der Trichtertechnik immer. Andererseits nutzt man doch ein Stück weit die Winddrehungen.

Mit dem Programm Kompass für Regattasegler findet man dies alles leicht bestätigt. Man stellt die Computerboote teils auf HWR-Technik und teils auf Trichtertechnik (mit unterschiedlichen Parametern) und lässt sie bei verschiedenen Windverhältnissen gegeneinander segeln. Die Boote mit Trichtertechnik haben oft die Nase vor den HWR-Booten, nämlich immer dann, wenn deren HWR-Prognose falsch liegt. Führt man anschließend eine Windanalyse (= eine Programmfunktion) durch und wiederholt die Wettfahrt, dann sind die HWR-Boote unschlagbar. Denn sie haben durch die Windanalyse eine richtige HWR-Prognose. Andere Kreuztechniken, mit denen die Computerboote eingestellt werden können, sind diesen beiden Techniken indes überhaupt nicht gewachsen.

Die Trichterweite

Die Weite des Trichters (die Winkel rechts und links der Leepeilung) haben wir bislang noch nicht hinterfragt. Die Weite des Trichters oder - damit gleichbedeutend - der Winkel, über den wir über die Leepeilung hinausfahren, können wir freilich beliebig wählen. Das wirkt sich natürlich darauf aus, wie stark wir von den Winddrehungen beeinflusst werden. Wenn wir 0° wählen, ist der Trichter praktisch verschwunden, und wir haben den bereits beschriebenen Effekt, dass wir ständig wenden, wenn wir uns genau leewärts der Luvtonne befinden. Dann würde uns aber schon die geringste Winddrehung nach links bzw. nach rechts führen.

Wenn wir einen Winkel von über 30° wählen (das sind 30° nach rechts und nach links der Leepeilung, also zusammen 60°), dann haben wir über den größten Teil der Kreuz keine Orientierung mehr in Bezug auf die Winddreher. Es ist dann so, als hätten wir nicht nur keinen Kompass an Bord, sondern so, als hätten wir auch kein Interesse an Winddrehungen (wie eben manche Segler); so ist dann der gerade gewählte Bug reiner Zufall.

Sinnvoll für diese Kreuztechnik sind Werte zwischen fünf und fünfzehn Grad.

Dies entspricht also dem Winkel über den wir über die Leepeilung hinausfahren, bevor wir wenden.

Praxistipp

Es hat sich für die Praxis als nützlich erwiesen, wenn man sein Boot mit einem Peilkreuz so wie oben in den Skizzen versieht.

Frank Hübner, der 1972 die Olympiade im 470er gewann, hatte solch ein Kreuz auf seinem Boot. Ob er es für eine Kreuztechnik wie die Trichtertechnik nutzte, ist mir nicht bekannt. Ich vermute, dass er es nutzte, um auf der Kreuz die Konkurrenz zu peilen. Denn das kann man mit der Linie, die senkrecht zur Windrichtung liegt, sehr gut machen. Nach dem Vorbild von Hübner  baute dann Dehler jahrelang 470er mit dunkelgelbem Deck und jenem Kreuz in schwarz. Die Boote sieht man noch heute in vielen Vereinen herumstehen.

Bei den meisten Jollen kann man die beiden Linien des Kreuzes im rechten Winkel zueinander platzieren. Dies entspricht dann einer gesegelten Höhe von 45°. Man kann aber auch die paar Grad Trichterweite (oben) hinzugeben, so dass man sie sich beim Segeln nicht mehr hinzudenken muss. Segelt das Boot deutlich mehr Höhe, dann kann man den Winkel (der im Kreuz zum Bug bzw. Heck zeigt) entsprechend enger machen. (Dann funktioniert  aber nicht mehr die Peilung der Konkurrenz!) Oder man lässt es beim rechten Winkel, so dass man schon gleich die Trichterweite berücksichtigt hat. Freilich kann man sich auch mehrere Kreuze mit unterschiedlichen Winkeln machen.

Auf dem Wasser hat man es dann sehr einfach:

Skizze 12

Vorsicht ist natürlich auch bei der Trichtertechnik geboten. Fahren Sie trotz oder wegen der Trichtertechnik nicht in Flautenlöcher hinein! Das machen Sie wahrscheinlich mit keiner Abkürzung zur Luvtonne (darum geht es ja beim Ausnutzen von Winddrehungen) mehr wett. Achten Sie also immer auch auf Windfelder (Böen) und Flautenlöcher!

Resümee

Die Trichtertechnik hilft auf einfache Weise, Winddrehungen ein wenig zu nutzen, ohne dass man einen Kompass braucht. Diese Technik ist keineswegs so künstlich, wie sie zunächst aussehen mag. Sie wird in der Realität sogar häufig angewendet, sei es, dass der Segler sich bewusst ständig (oder vielfach) nach der Richtung zur Luvtonne orientiert, oder sei es, dass der Wind so weit gedreht hat, dass beinahe oder ganz klar ein Anlieger zur Luvboje gesegelt werden kann. Wenn letzteres der Fall ist, fällt es jedem "sehenden" Regattasegler schwer, nicht (zuerst) den Anlieger zu wählen.

Wie schon angedeutet, kann man die Trichtertechnik auch hilfsweise nutzen, wenn man mit dem HWR-System augenblicklich nicht arbeiten kann oder wegen zu hoher Unsicherheit bei der HWR-Prognose nicht arbeiten will.

Viel Erfolg beim Ausprobieren!

 

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